Auch aus Steinen, die in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.

Goethe

Geht es nach der amerikanischen Waffenlobby, dürften manche Märchen neu geschrieben werden. So bewaffnet in ihren Neuinterpretationen die Autorin Amelia Hamilton bekannte Märchenfiguren und sorgt für ein Ende der Gewalt. Hänsel und Gretel, geübt im Schusswaffengebrauch, gehen auf die Jagd, um die Hungersnot ihrer Familie zu lindern. Eigenartig, dass die Familie Schusswaffen besitzt, aber nichts zu essen. Nun denn. Im Lebkuchenhaus wird ein armer offenbar waffenloser Junge aus dem Käfig befreit.

Hier also meine ganz persönliche "Interpretation" des Märchens:

Teil 1: Hänsel und Gretel

Einst lebte im Wald eine Familie, die war so arm, dass sie sich nichts mehr zu essen leisten konnten. Vater und Mutter waren verzweifelt. »Was sollen wir nur tun? Wir werden verhungern, schlimmer noch, unsere Kinder werden verhungern, oder, noch schlimmer, wir werden zusehen, wie unsere Kinder verhungern, um danach selber zu verhungern.«

In ihrer Not stiegen sie ins Auto, um ihre Kinder im Wald auszusetzen. Dort, so hofften sie, sollten die Kinder entweder von einem sprechenden Bären oder einem Pfadfinder gefunden und versorgt werden. So fuhren sie los. Die Kinder auf dem Rücksitz maulten.

»Langweilig!«, maulte Hänsel.

»Ja, der Wald ist echt lahm!«, meckerte Gretel. Zwischen den Vordersitzen stand Mutters Handtasche. Gretel zog sie heran, öffnete den Verschluss und zog die schmale Handfeuerwaffe hervor. Natürlich wusste sie bereits damit umzugehen, sie war ja schon fünf Jahre alt! Mit beiden Händen hielt sie die Waffe nach vorne. »Bumm«, flüsterte sie und grinste.

Bumm.

Die Kugel traf ihre Mutter am Hinterkopf. Der Vater brüllte, bremste, und der Wagen krachte gegen einen Baum. Vaters Kopf lag auf dem Lenkrad, und aus seinem rechten Ohr sickerte Blut.

»Mein Gott, was ist passiert? Wir brauchen Hilfe! Los, schnell, Hänsel!«

Hänsel und Gretel liefen durch den Wald. Da sahen sie vor sich ein Häuschen, ganz aus Lebkuchen; aus dem Schornstein wehte Zuckerwatte, und die Tür bestand aus zarter Schokolade.

Gretel lächelte brav. »Mal schauen, ob jemand zu Hause ist«, meinte sie und steckte die Pistole weg.

Natürlich geschieht so etwas nicht, wenn es nach der amerikanischen Waffenlobby geht. Die Menschen sind schließlich geübt im Schießen, die Waffen haben immer nur die guten, verantwortungsbewussten und aufrechten Bürger, die damit umgehen können und sich und ihre Familie damit beschützen. Oder die guten, verantwortungsbewussten und aufrechten Polizisten, die jene Bürger beschützen, die selber "noch" keine Waffe haben.

Darauf folgt nun meine "Wahrheit" über bis an die Zähne bewaffnete Märchenfiguren:

Teil 2: Rotkäppchen

Am Rande des Waldes lebte Rotkäppchen mit ihrer Familie. Eines Tages sagte Mutter: »Rotkäppchen, bitte nimm diesen Korb mit Brot und Beeren und Wein und bringe ihn zu deiner Großmutter ins Pflegeheim. Ich würde selber gehen, aber gleich kommt Walking Dead.«

Rotköppchen zog sich ihren Mantel an mit der Kapuze, nahm den Korb und winkte. »Bis gleich! Vor Wölfen oder Pennern oder Amokläufern oder Attentätern muss ich mich nicht fürchten, denn die Bürgerwehr überwacht den Wald!«

So ging Rotkäppchen los, pfiff ein Lied und schwenkte den Korb hin und her. Die Sonne schien, die Vögel schunkelten, und irgendwo weit entfernt trabte ein Einhorn vorbei.

Doch da verdunkelte sich der Himmel; Wolken zogen auf, und ganz plötzlich prasselten Regentropfen auf Rotkäppchen herab. »Oh nein! Ich werde ganz nass!« Rotkäppchen fasste nach hinten und zog sich die Kapuze über.

Bumm.

Die Kugel riss ein Loch in ihren Brustkorb. Rotkäppchen ließ den Korb fallen und sackte zusammen.

Zwei Männer in Uniform näherten sich. »Scheiße. Ich dachte, es wäre ein Schwarzer.«

»Konntest du nichts für, Brad. Warum zieht sie sich auch die Kapuze so tief ins Gesicht?«

»Genau. Da konnte ich nicht sehen, dass sie kein Schwarzer ist. Ich meine, es hätte ein Schwarzer sein können. Ein schwarzer Drogendealer, bewaffnet und bereit, uns zu töten.«

»Es war Notwehr, Brad. Hörst du? Notwehr.«

Und demnächst auf nrafamily.org: Die drei kleinen Schweinchen (haben auch Waffen)... "Ich freu mich drauf" ;)